Der America‘s Cup gilt als älteste und zugleich prestigeträchtigste Segelregatta der Welt. Seit 1851 kämpfen vor allem Milliardäre und Business-Mogule um die Sieger-Trophäe und liefern sich dabei spektakuläre Rennen auf eigens zu diesem Zweck entwickelten High-Tech-Yachten. Die Yachten spiegeln nicht nur stets den jüngsten technologischen Entwicklungsstand im Segelsport wider, sondern verschieben regelmäßig die Grenzen des bis dato technisch Machbaren. So wurde beispielsweise beim 34. America‘s Cup 2013, der auf den sogenannten AC72 Katamaranen ausgesegelt wurde, eine in dieser Größenklasse völlig neuartige Foil-Technologie eingesetzt, die Spitzengeschwindigkeiten von über 45 Knoten erlaubten.
Es gehört aber auch zur langen Tradition des America’s Cup, dass der Kampf der Teams um den Sieg nicht nur auf dem Wasser stattfindet, sondern mit der gleichen Vehemenz und taktischen Raffinesse auch an Land geführt wird. So gab es neben den üblichen Auseinandersetzungen und gegenseitigen Vorwürfen rund um Technologiespionage, unlautere Finanzierungsmodelle, gegenseitiges Abwerben von Teammitgliedern, geheime Absprache zwischen verschiedenen Syndikaten, usw. auch regelmäßig rechtliche Streitigkeiten um die korrekte Auslegung der Stiftungsurkunde des America’s Cup, die nicht selten vor Gericht ausgetragen werden, zuletzt in einem Rechtsstreit von 2007 bis 2009 vor dem „New York Supreme Court“.
Nun wird der America‘s Cup um eine gänzlich neue Episode bereichert, nämlich um einen handfesten Patentstreit.
Der Hintergrund ist, dass der 36. America’s Cup auf sogenannten AC75 Monohulls ausgesegelt wird, ein völlig neues Bootskonzept, dessen Design durch die von der Royal New Zealand Yacht Squadron und der Circolo della Vela Sicilia entworfenen AC75-Klassenregeln vorgegeben ist. Das Besondere an diesem neuen Bootskonzept ist, dass auf jeder Seite des Bootes ein verschwenkbares T-Foil mit Ballast vorgesehen ist. Beim Segeln wird das jeweils leewärtige Foil in das Wasser geklappt. Auf das Foil wirken strömungsbedingt solche starken Auftriebskräfte, dass nicht nur das aufrichtende Moment des Bootes erhöht, sondern der gesamte Bootsrumpf aus dem Wasser gehoben wird. Gleichzeitig kann das luvwärtige Foil jeweils aus dem Wasser geklappt werden, wodurch einerseits der Wasserwiderstand minimiert wird und andererseits durch den langen Hebelarm und den Ballast das aufrichtende Moment des Boots weiter gesteigert werden. In Manövern können sogar beide Foils in das Wasser geklappt werden, um das Boot trotz niedrigerer Bootsgeschwindigkeit in der Flugphase zu halten.
Manoel Chaves, Konstrukteur und Geschäftsführer der in Brasilien ansässigen Werft MCP Yacht behauptet nun, dass dieses von den Cup-Verteidigern vorgegebene Neigekielsystem seine Patentrechte verletzen würde.
Dieser Vorwurf hat mich als Patentanwalt und Regattasegler, der beispielsweise für die im Foilingbereich sehr erfolgreiche und stark aufstrebende Firma AST – Advanced Sailing Technologies GmbH aus Potsdam neue und hocheffiziente Foiling-Systeme patentrechtlich geschützt hat, neugierig gemacht:
Was hat es mit den Vorwürfen von Manoel Chaves auf sich?
Zunächst einmal existiert tatsächlich eine Patentfamilie, die auf den Namen Manoel Chaves aus Brasilien registriert ist. Neben einer ausgelaufenen internationalen Patentanmeldung (WO 2017 / 083 947 A1) und einem kürzlich erteilten brasilianischen Patent (BR 10 2015 028 909 B1) umfasst diese Patentfamilie auch eine US amerikanische Patentanmeldung (US 2018 / 0 354 592 A1) sowie ein neuseeländisches Patent (NZ 740 860 A).
Die US amerikanische Patentanmeldung kommt für eine potentielle Patentverletzung nicht in Betracht, da die Anmeldung mittlerweile als zurückgenommen gilt. Die Anmelderin hat nicht rechtzeitig auf einen negativen Prüfbescheid des US Patent- und Markenamts geantwortet. Im Grunde ist ein negativer Prüfbescheid, eine sogenannte „non-final Office Action“ nicht ungewöhnlich und sagt auch nicht viel über die potentielle Patentfähigkeit des Anmeldegegenstands aus.
Ungewöhnlich ist hier eher, dass man nicht rechtzeitig darauf geantwortet hat und somit die Anmeldung fallengelassen hat, obwohl man schließlich bereits die Kosten für die Einreichung getragen hat und der US Prüfer nur formale und relativ leicht zu behebende Mängel der Patentanmeldung gerügt hat. Es wurde vor allem kein neuheitsschädlicher oder die erfinderische Tätigkeit in Frage stellender Stand der Technik zitiert. Vielmehr wird auf Seite 3, Punkt 12 des US amerikanischen Prüfbescheids die Auffassung vertreten, dass die Anmeldung insgesamt erteilungsreif ist, sobald die angemahnten formalen Mängel behoben werden:
Man könnte also vermuten, dass die wirtschaftliche Verwertung in den USA nicht mehr gegeben war und deshalb die Anmelderin das Schutzrecht in den USA nicht mehr weiterverfolgt hat. Das einzige Land, in welchem die vergleichsweise kostenintensive internationale Patentanmeldung außerdem noch nationalisiert wurde, ist Neuseeland. Typischerweise gehört Neuseeland nicht zu denjenigen Ländern, in welchen überhaupt PCT-Anmeldungen im großen Stil nationalisiert werden, da der neuseeländische Markt vergleichsweise klein ist und die Patentkosten damit nicht rechtfertigt. Das die in Rede stehende internationale Anmeldung sogar ausschließlich in Neuseeland nationalisiert wurde, legt daher den Verdacht nahe, dass die gesamte Patentfamilie von Manoel Chaves passgenau auf den 36. America’s Cup in Auckland zugeschnitten wurde und nur diesen zum Ziel hat. Ein US amerikanisches Patent wäre nur noch von begrenztem Nutzen gewesen, da alle Boote, die als potentielle Verletzungsgegenstände gewertet werden könnten, also insbesondere das Boot des US amerikanischen Herausforderer-Teams „American Magic“ vom New York Yacht Club mittlerweile nach Neuseeland transportiert worden. Die schärfste Waffe im Patentstreit, nämlich der Unterlassungsanspruch, wäre in den USA somit ins Leere gelaufen.
Das neuseeländische Patent wurde hingegen am 03. März 2020 zur Erteilung gebracht und ist aktuell auch in Kraft. Ein neuseeländisches Patentgericht wird sich also mit der Frage befassen müssen, ob die aktuellen AC75 Monohulls für den 36. America’s Cup das Patent verletzen. In diesem Zusammenhang wird zwangsläufig auch geklärt werden, wie es um die Rechtsbeständigkeit des Patents bestellt ist.
Was wird durch das neuseeländische Patent unter Schutz gestellt?
Inhaltlich schützt das neuseeländische Patent ein System zur Stabilisierung eines Segelboots, an dessen Rumpf backbords als auch steuerbords jeweils ein sogenannter Flügelkiel (51) befestigt ist, der über einen hydraulischen Aktuator (55) um eine längsverlaufende Welle (55) verschwenkbar ist, also angehoben oder abgesenkt werden kann. Eine Ballastbombe (51) verbindet den Flügelkiel (51) ferner mit einem Auftriebsflügel (52), wobei hier eine querverlaufende weitere Welle (57) vorgesehen ist, über welche der Winkel des Auftriebsflügels (52) mittels eines weiteren Aktuators (54) verschwenkbar ist. Mit Hilfe eines batteriebetriebenen Steuerpanels sind Ventile und Magnete der beiden Hydraulikvorrichtungen entsprechend individuell ansteuerbar, wobei zusätzlich ein Sensor zur Überwachung des Anstellwinkels des Auftriebsflügels vorgesehen ist.
Die in Klammern aufgeführten Bezugszeichen finden sich zur Veranschaulichung in den nachfolgend gezeigten Figuren des Patents wieder:
Bei der Bewertung, ob eine Patentverletzung vorliegt, darf man sich grundsätzlich nicht zu sehr von der in den Figuren des Patents nur beispielhaft gezeigten konkreten Ausführungsform der Erfindung leiten lassen, da der Schutzbereich eines Patents allein durch die unabhängigen Patentansprüche definiert wird, welche typischerweise eine breite Abstraktion des allgemeinen Erfindungsgedanken darstellen und eben nicht nur auf eine einzige konkrete Ausführungsform abstellen.
Wird das Patent durch das aktuelle AC75-Design verletzt?
Das aktuelle Design der AC75 Monohulls weist ebenfalls auf jeder Seite einen Flügelkiel auf, der hydraulisch um eine in Längsachse verlaufende Welle verschwenkbar ist, wie beispielsweise aus Figur 13.1 der Klassenregeln hervorgeht:
Auch scheint der Flügelkiel über eine Ballastbombe mit wenigstens einem Auftriebsflügel verbunden zu sein. In der Praxis sind es sogar jeweils zwei Auftriebsflügel, aber das ist für die Frage der Patentverletzung unbedeutend, solang wenigstens ein Auftriebsflügel vorhanden ist. Die Ballastbombe geht aus der oben gezeigten Illustration nicht hervor – ist aber zumindest auf den Fotos der teilnehmenden Boote deutlich zu erkennen (siehe Foto im Titel des Artikels).
Anders als beim vorherigen America‘s Cup ist nunmehr – wie unter Punkt 13.1 (b) der AC75 Klassenregeln ausgeführt – erlaubt, die Auftriebsflügel jeweils mit Flaps zu versehen. Diese Flaps erlauben im hinteren Bereich der Flügel eine Änderung des Anstellwinkels und dienen als eine Art Höhenruder: Wenn die Flaps heruntergeschwenkt werden, erhöhen sich sowohl Auftrieb als auch Wasserwiderstand, während sich Auftrieb und Wasserwiderstand beim Hochschwenken reduzieren. Durch eine genaue Steuerung der Flaps kann also die Flughöhe und -stabilität für jede Phase eingestellt und somit die Bootsgeschwindigkeit optimiert werden. Die Steuerung der Flaps ist damit einer der zentralen und kritischen Punkte, die über Sieg oder Niederlage im 36. America’s Cup entscheiden werden.
Aus patentrechtlicher Sicht können diese Flaps als verkippbare Auftriebsflügel im Sinne des Patents aufgefasst werden. Dies gilt umso mehr, als anhand Figur 10 des Patents explizit eine solche „Flap-Lösung“ als erfindungsgemäße Variante ausgeführt wird:
Da die Auftriebsflügel verschwenkbar sind, muss zwangsläufig auch eine – wie auch immer geartete – querverlaufende Welle vorgesehen sein, denn anders wird sich das Gelenk der Auftriebsflügel kaum sinnvoll realisieren lassen. Der Umstand, dass diese Auftriebsflügel verstellbar sind, wurde bereits erörtert. Das neuseeländische Patent fordert nun ein, dass der Anstellwinkel mittels eines „zylindrischen Aktuators“ (cylindrical actuator) verstellbar sein soll, der ausweislich von Absatz [0030] der Patentschrift sowohl ein Hydraulikantrieb als auch ein elektrischer Linearmotor sein kann.
Fraglich ist, ob ein solcher Aktuator bei dem aktuellen AC75-Design verbaut ist. Das Regelwerk gibt keine spezielle Antriebsmechanik zur Verstellung der Flaps vor. Allerdings ist kaum vorstellbar, dass hier nicht ein solch hydraulischer oder elektrischer Antrieb verbaut ist. Bei der Frage, inwiefern dieser Antrieb zwingend zylinderförmig ausgebildet sein muss, kann sicherlich von einer breiten Auslegung ausgegangen werden, da hier die Funktion im Vordergrund steht.
Auch das Erfordernis, wonach die gesamte Hydraulik durch ein batteriebetriebenes Steuerungspanel gesteuert wird, dürfte zwangsläufig erfüllt sein, insbesondere da im Patent nicht nur Tablets, sondern auch Smartphones oder und dergleichen als Steuerungspanel im Sinne des Anspruchswortlaut aufgeführt werden. Gleiches gilt für eine Sensorik zur Messung oder Überwachung des Anstellwinkels, welche schon allein für die automatische Steuerung derselben notwendig ist. Auch dieses Merkmal dürfte also verwirklicht sein, zumal diese Sensoren typischerweise im Antrieb selbst verbaut sein müssen, damit der Antrieb seine jeweiligen Maximalpositionen erkennt.
Im Ergebnis scheint der Vorwurf der Patentverletzung somit zumindest nicht nur gut begründbar zu sein, sondern es gibt sogar einige Indizien die eher für als gegen eine solche Verletzung sprechen.
Besonders delikat wird das gegenwärtige Verfahren durch den Umstand, dass den Teams des America’s Cup die Hauptkomponenten des Foil-Canting-Systems der AC75 Monohulls als Einheitsbauteile zur Verfügung gestellt wurden, um die Kosten für die Boote zu reduzieren. Die Foil-Canting-Systeme wurden von der italienischen Firma Persico Marine für alle Boote gebaut. Sollte ein neuseeländisches Patentgericht also tatsächlich eine Verletzung des Patents von Manoel Chaves aufgrund der Ausgestaltung der Foil-Canting-Systeme bejahen, so würde das auf einen Schlag gleich alle vier Teams im 36. America’s Cups betreffen.
Ein weiteres patentrechtliches Schmankerl ergibt sich im Übrigen aus der besonderen Regelung von Art. 5ter PVÜ, die auch für Neuseeland gilt. Danach wird der Gebrauch patentierter Einrichtungen auf Schiffen anderer Verbandsländer nicht als eine Patentverletzung angesehen, wenn sich diese Schiffe nur vorübergehend im Gewässer des Patentinhabers befinden und die Einrichtungen dort nur für die Bedürfnisse des Schiffes verwendet werden. Sollte diese Regelungen, die natürlich eigentlich für vornehmlich in internationalen Gewässern befindliche Frachter und Tanker gedacht ist, auch für AC75-Monohulls gelten, dann könnte das Patent allenfalls noch gegen die Cup-Verteidiger Emirates Teams New Zeeland geltend gemacht werden, da nur deren Boot seinen Heimathafen in Neuseeland hat.
Zusammenfassend ist jedenfalls festzustellen, dass der Kampf um die meistbegehrteste Trophäe des Segelsports um einen spannenden Nebenkriegsschauplatz reicher geworden ist und man darauf gespannt sein darf, welche Auswirkungen das gegenwärtige Patentverletzungskrimi auf den 36. America’s Cup haben wird.